325 Jahre Junggesellen-Schützenverein Alpen

Festvortrag von Dr. Hans-Georg Schmitz

auf der Festversammlung am 29.4.2005

Der Text kann hier als PDF herunter geladen werden.

Diese Seite wird bald mit Fotos ergänzt.

Herr Präsident,

Herr Geschäftsf. Vorsitzender,

Herr Bürgermeister, Frau Ortsvorsteherin,

liebe Schützen!

Wenn man über ein festliches Datum nachsinnt, dann fallen einem die unterschiedlichsten Bezugspunkte ein. Ich möchte Ihnen einige davon vortragen, wobei ich natürlich eingrenze und die Schwerpunkte nach dem 2. Weltkrieg setze; beginnen aber möchte ich damit, dass ich in meinen heutigen Ausführungen einen Bogen schlage zu dem, was ich in meinem Festvortrag am 6. Januar 1980 zum 300. Jubiläum in den Mittelpunkt meiner Überlegungen gestellt habe. Angetan hat mir seinerzeit – wie auch heute – jenes „ferners nit“ aus der Gründungsurkunde unseres Vereins, in welcher der Vereinsbeitritt verbunden wurde mit der Betonung persönlicher und bürgerlicher Freiheiten; also sozusagen die Versicherung, dass man mit der Mitgliedschaft nur eng beschriebene, auf den Verein bezogene Verpflichtungen eingeht: „hat man zu Alpen …eine… Compagnie Junge gesellen… aufgericht, jedoch der gestalt, daß niemand dadurch seine Freyheit verlieren noch darahn abbruch geschehen solle, sondern nur im fall Ihre Churfürstl. Durchlaucht oder unserem gnädigen Grafen… einige ehr zu beweisen, … die Commando ihrer Vorgesetzten officier zu pariren schuldig undt gehalten sein sollen, und ferners nit.“ Der Personenkreis für notwendige Ehrerweisungen wird also genau und eng definiert: der Kölner Kurfürst als Lehnsherr, der gräfliche Herr von Alpen und die Offiziere beim Schützenfest; „ferners nit“, sonst nichts und niemand.

Es gibt ein weiteres, viel früheres Datum in der Alpener Geschichte, das auch unter dem Aspekt „Freiheit“ Erwähnung verdient. Das sind die 17 Stadtprivilegien Alpens von 1354, in denen bis in alle Einzelheiten hinein Rechte und Pflichten geregelt sind und in denen beispielsweise die Befehlsgrenzen für den Stadtherrn, Gumprecht von Neuenahr, festgesetzt werden: „Der Herr kann den Bürgern nicht gebieten, für ihn zu mähen, zu säen, zu misten, zu zäunen oder Holz zu fahren“. Ob diese Bestimmungen den Gründern unseres Vereins bekannt waren, ist ungewiss und auch eher unwahrscheinlich; aber es ist der gleiche Geist, der hier deutlich wird: Die Bereitschaft zur Bindung in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, die Bereitschaft zum Engagement, aber zugleich das Aufzeigen von Grenzen der Vereinnahmung, um eigene Persönlichkeit zu bleiben, um die eigene Identität und Individualität zu wahren.

Wie auch anderen Orts ist die Alpener Geschichte freilich nicht eine der permanenten Freiheitsentfaltung, hat sie ihre Höhen und Tiefen und ihre dunklen Seiten. Das wird gerade in diesem Jahr – 2005 – erinnerlich, in dem wir auch der 60jährigen Wiederkehr des Endes des 2. Weltkrieges und der Nazi-Tyrannei gedenken, während derer beispielsweise – die Mahntafel in der Burgstraße macht dies deutlich – die Schule und Synagoge, ja die Präsens und vielfach auch das Leben der jüdischen Mitbürger, die zumeist aktive Vereinsmitglieder waren, ausgelöscht wurden. 1945 schlug die Unmenschlichkeit Nazi-Deutschlands aber auch in vollem Umfang auf Deutschland als den Urheber des Krieges zurück: Evakuierung, Not, Zerstörung, Tod und unsägliche Angst suchten auch unsere Heimat heim, die vom „Krieg am Niederrhein“ grausam betroffen war; das Tagebuch eines Alpener Schützen von 1945 erinnert daran mit starker Eindringlichkeit; auf den Stollen im Kastell wird ja bald auch eine Tafel, die der Heimat- und Verkehrsverein einrichtet, hinweisen.

Wir können seit 1945 uns aber auch, mit nunmehr 60 Jahren Frieden, der bei weitem längsten kriegslosen Periode der deutschen Geschichte erfreuen. Und die Generation, die Aufbau und Wohlstand mit ungeheurem Elan grundgelegt hat sowie den demokratischen Neubeginn einleitete – zumeist unsere Eltern oder Großeltern -, hatte aufzubauen, neu zu gestalten, wiederherzustellen, zu bewahren und zu verändern zugleich; sie hat es bravourös gemeistert.

Alpen bestand seinerzeit einmal als Gemeinde – (seit 1.4.1939) Ortskern, Drüpt, Bönning, Huck, Millingen Bauernschaft, ein Teil der Bönninghardt – und zum anderen als Amt Alpen-Veen, aus dem 1969 die neue Gemeinde Alpen hervorging, wobei es den Übergang der Gemeinde Birten nach Xanten und eine Grenzbereinigung im Millinger Bereich zugunsten der Stadt Rheinberg gab. Die Gemeinden waren nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 – so hat es Franz Sevens, unser früherer Gemeindedirektor, in seinem Beitrag für das Festbuch 1974 zum 900jährigen Jubiläum ausgedrückt – „die einzige intakte Verwaltungsinstanz. Sie sorgten in den ersten Wochen und Monaten nach dem Zusammenbruch dafür, dass die kargen Nahrungsmittel einigermaßen gerecht verteilt wurden und dass die einströmenden Flüchtlinge und Vertriebenen zumindest notdürftig untergebracht wurden. Sie bemühten sich darum, dass Wirtschaft und Handel langsam wieder in Gang kamen. Ihnen ist es zu verdanken, dass damals nicht ein Chaos entstand und noch größeres Leid über die Bewohner gebracht wurde.“ Sie – die Gemeinden -: Das waren Menschen – Bürgerinnen und Bürger sowie ihre politische Vertretung und Verwaltung. Und in Alpen waren das zumeist Mitglieder unseres Schützenvereins. Was diesen betrifft, so kamen 1946 erstmals wieder Mitglieder zusammen, 1948 erfolgte die Wiedergründung des Vereins, der am 7.1.1949 die Genehmigung des britischen Residenzoffiziers erhielt und Pfingsten dieses Jahres das erste Schützenfest unterhalb der sog. Jugendburg durchführen konnte.

1946 auch wurden durch die britische Militärregierung mit ihren Kommandanturen in Moers und Kevelaer Hilfspolizisten gegen Diebstähle und Plünderungen und zur Überwachung der Ausgangssperren sowie auch die ersten Räte eingesetzt. Diese fungierten als „Beiräte“ und bestanden aus politisch „unbescholtenen Personen“; erst 1948 gab es die ersten Wahlen durch die Bevölkerung. Bürgermeister wurde am 26.2.46 Wilhelm Vinmans, der bis 1964 im Amt blieb. Gemeindedirektor wurde Franz Riefert, dem 1952 Josef Sody folgte.

Die Größe der Aufgaben bemisst sich am Ausmaß der Kriegszerstörungen; dies führte beispielsweise zu sog. Wohnbezugsberechtigungen, zum Bewohnen jeden verfügbaren Raumes mit oft höchst unzulänglichen Verhältnissen, zur katholischen Gottesdienstfeier im Saale Schaffrath bis Ostern 1947 (die älteren werden sich erinnern) oder zum Schulunterricht im Saal des Lindenhofes (dort wurde 1947 auch mein Jahrgang eingeschult). Schmutzwasserkanalisation oder Müllabfuhr gab es 1949 noch nicht. Die wenigsten Straßen hatten eine Teerdecke, die meisten eine solche aus Schotter, im inneren Ortskern auch Kopfsteinpflaster mit Basalteinbauten oder –fahrspuren.

Theodor Ridder, unser unvergessener geschäftsführender Vorsitzender, hat dies alles mit der ihm eigenen Akribie für seinen Vortrag auf der Herbstversammlung 1999 unter dem Titel „Alpen und die Schützen vor 50 Jahren“ aufgezeichnet. Bereits 1980 hatte Theo Ridder in seiner Dankesrede für die Verleihung des Ehrenrings der Gemeinde Alpen auf die Nachkriegszeit zurückgeblickt: „Als wir Ausgezeichneten (das waren neben ihm Heinrich Bruns und mein Vater) unsere Ehrenämter antraten, waren nur wenige Straßen und Wege asphaltiert, war fast überall nur Rinnsteinentsorgung üblich, war nur eine eingeschränkte Wasserversorgung vorhanden, konnte noch kein Erdgas entnommen werden, gab es noch keine modernen Sportplätze, Kinderspielplätze, Turnhallen und Freizeitanlagen. Es gab kein auf Bestandssicherung ausgerichtetes Schulwesen. Ein den Bedürfnissen entsprechendes Friedhofhallenwesen gab es ebenso nicht. An ein Hallenbad war nicht zu denken. Altentagesstätten kannte man nicht. … Das Bundesbaugesetz war ein Buch mit sieben Siegeln.“ Den ersten Bebauungsplan gab es übrigens 1962 für en Bereich „Ulrichstraße/Die Huf“.

Interessant an den Notizen Theo Ridders ist unter anderem freilich auch der Blick auf die Erwerbsinfrastruktur des Ortes mit einer heute nicht mehr vorstellbaren Vielzahl an Handwerks-, Handels- und Versorgungs- oder Dienstleistungsbetrieben: nämlich 83 im Jahre 1949, viele dort, wo heute nichts oder fast nichts mehr dergleichen existiert, nämlich 15 in der Bruckstraße, 8 in (heute:) Alte Kirch- und Domhofstraße, 3 in der Haagstraße oder 10 in der (heute:) Ulrichstraße.

Im Vergleich solcher Zahlen zu heute wird schlaglichtartig auch der enorme gesellschaftliche Wandel sichtbar, der sich vor allem seit den 60er Jahren in allen Lebensbereichen vollzogen hat und der für denjenigen, der es noch anders erlebt hat, auch an vielen Einzelheiten abzulesen ist: den zurückgehenden Zahlen in der Ortsbindung, der aktiven Vereinszugehörigkeit, der kirchlichen Bindung, dem Frühschoppen oder Kinobesuch – schließlich gab es in Alpen einmal 2 Kinos und 6 Gaststätten.

Vom früheren kleinen Luftkurort – auch die 1964 abgerissene Jugendherberge trug ihren Teil bei – zur beliebten Wohngemeinde im Grünen, vom handwerklich – landwirtschaftlichen Dorf (1950 mit 16 Bauernhöfen, davon 5 im Ort) zu einer Gemeinde mit ansehnlichem Gewerbebesatz bis hin zu internationalen Marktführern: Eine auch im Ortsbild ablesbare, bemerkenswerte Entwicklung mit einem entscheidenden politischen Akzent in der kommunalen Neuordnung 1969 mit der Selbstständigkeit des neuen Alpen, das im Jahr der 900 – Jahr – Feier 1974 einen besonderen Schub des Zusammenwachsens, seit Mitte der 80er Jahren einen Boom in neu erschlossenen Wohngebieten und 1988 – 90 die Wohnumfeldverbesserung im Ortskern erlebte, nachdem 1978 die Umgehungsstraße und 1981 und 1985 die Autobahn eröffnet wurden. 

Ein Entwicklungsindiz ist sicherlich die Zahl der Einwohner. Betrug diese in Alpen-City gut 100 Jahre nach der Vereinsgründung – 1798 – 657, so waren es 1843: 1629, 1861: 2132, 1933: 2840; 1959: 3870 oder im Bereich Alpen-Veen – bzw. der Großgemeinde Alpen – 1861 : 3942; 1933: 6870; 1961: 8922; 1972: 9620 und heute 12941 (1.1.05).

Eine kleine Nebenbemerkung: Wie wird es weitergehen angesichts der demographischen Probleme, die uns allen sichtbar ins Haus stehen? Werden wir uns bewähren?

Eins jedenfalls ist klar: Bei allem, was nach dem Krieg in Alpen sich veränderte, bei dem was man „Fortschritt“ nennen kann, bei dem auch, wo man sagen kann: Da ist nun bei aller Entwicklung und Veränderung wirklich „die Kirche im Dorf geblieben“: Bei all dem, meine Dame, meine Herren, war unser Schützenverein beteiligt.

Er war es allein schon über diejenigen Persönlichkeiten, die wesentliche Entwicklungsträger waren: Die Bürgermeister Wilhelm Vinmans (1946 – 1964), Max Roghmanns (1964 – 1969), Bernhard Paßens (1984 – 1989), auch Gerd Maas und Hans Coopmann – obwohl nicht aus Alpen-City stammend -, Gemeindedirektor Franz Sevens, der den größten Anteil an der Sicherung der Selbstständigkeit Alpens hatte (1962 – 1986), Wilhelm Jansen (1986 – 1999, und 1999 – 2004 als Bürgermeister) waren oder sind aktive Mitglieder des Junggesellenschützenvereins. Gleiches gilt für die Vorsitzenden der Fraktionen: bei der CDU Theo Ridder, meine Person, Walter Matenaar oder Günter Helbig, bei der SPD Theo Hunnenbart und Viktor Illenseer.

Wenn ich allein bedenke, wie selbstverständlich – übrigens in zeitgemäßer Fortführung einer über 125jährigen Tradition – der Bürgermeister am Pfingstdienstag König, Präsident und Gefolge im Sitzungssaal empfängt, wie selbstverständlich der Verein seine Ehrengäste hierhin einladen kann, dann zeigt sich hier exemplarisch die enge Verbundenheit zwischen politischer Gemeinde und Verein. Auch bei unserem neuen Bürgermeister – bereits Mitglied des Vereins – wird dies so sein. Und in diesem Zusammenhang sollte auch unser geschäftsführender Vorsitzender Ludger Funke, der bei der Gemeinde arbeitet, nicht vergessen werden.

Aber auch den Verein selbst erfassten die notwendigen Reformen, die er zur richtigen Zeit vornahm. Zu den wegweisenden Beschlüssen, welche sein festes Fundament und die breite Verankerung seiner Feste in der Bevölkerung stärkten und sicherten, gehörten die Beschlüsse und Maßnahmen von 1958 – Königsschuss im jährlichen Wechsel von Junggesellen und Verheirateten, ein Antrag, der 1938 noch zurückgewiesen worden

war -, von 1966 – offizielle Toten- und Gefallenenehrung mit Beteiligung der Pfarrer und vorherigen Gedenkgottesdiensten-, 1976 – Bau des neuen Schießstandes und der neuen Freizeitanlage „Schmuhlsberg“, 1980 mit dem ersten Kinderschützenfest, bereits 1978 der erste Kinderkarnevalszug – wie 1 Jahr zuvor das erste Straßenfest, die erste Straßenparty: wie vieles ein Ergebnis der Überlegungen innerhalb der „Arbeitsgemeinschaft Schmuhlsberg“.

Nicht hoch genug eingeschätzt werden kann in den 70er Jahren die Wiederbelebung der Pumpennachbarschaften und damit der Nachbarschaftstreffen am Pfingsmontag – eine ganz hervorragende Möglichkeit auch der Integration der Neubürger in das Vereins- und Dorfleben –, wie die Gemeinde ihrerseits mit ihrer Bautätigkeit und Grundstücksvergabe bestrebt war, bauwillige Alpener und Neubürger in den neuen Baugebieten zu vereinen.

Voraussetzung für die Nachbarschaftstreffen am Pfingstmontag waren Veränderungen in der Festfolge, denn bis 1960 fanden dann Umzug und Zapfenstreich statt, von 1966 – 1968 wurde montags geschossen – so auch, als meine Frau und ich 1967 unter König Heinz-Peter Dorrenbach mit am Thron waren.

Man sieht, liebe Schützen, meine Dame, meine Herren:

Zum Bewahren und Erhalten gehört das Verändern; beides fußt auf der Bereitschaft zum Nachdenken.

Und das können Menschen erfolgreich nur, wenn sie eine Basis, wenn sie Grundsätze haben; wenn sie – wie in Alpen – ihr „und ferners nit“ bewahrt haben: Verantwortung mit Freiheit gepaart wissen – Freiheit aber nicht nur als „Freiheit von etwas“, sondern vor allem auch als „Freiheit zu etwas“. Diese Lehre aus 325 Jahren Junggesellen-Schützenverein sollten wir bewahren, in die Tat umsetzen und weitergeben.

Ich danke Ihnen und Euch für die Aufmerksamkeit.